I, Tonya
Craig Gillespie, USA, 2017o
Im Januar 1994 wird die amerikanische Eiskunstläuferin und Olympia-Hoffnung Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange attackiert. Ihre Erzrivalin Tonya Harding soll hinter dem Anschlag stecken. Wie konnte es soweit kommen? Craige Gillespies Tragikomödie blendet zurück in Tonya Hardings Underdog-Geschichte, in der eine tyrannische Mutter und ein dubioser Ex-Mann zentrale Rollen spielen.
Sie interessieren sich nicht für Eiskunstlauf und erinnern sich erst recht nicht an den Fall der rotzigen amerikanischen Eisprinzessin Tonya Harding, die ihrer Landsfrau und Olympia-Konkurrentin angeblich die Kniescheiben zertrümmern liess? Wer tut das schon? Tut auch nichts zur Sache! Craig Gillespie besetzt mit «I, Tonya» schlicht das Terrain, das sonst die Coen-Brüder für sich gepachtet haben: das immense Feld der menschlichen Gier und Dummheit und den unermesslichen Schaden, den diese Ureigenschaften unserer Spezies anrichten. Gillespie tut dies, das ist das Entscheidende, auf Augenhöhe mit den beiden Grossmeistern des abgründigen Humors: mit Sinn für Aberwitzige, dabei voller Sympathie für die armen Tröpfe und Antihelden seiner Geschichte und deshalb doch anrührend. Die grosse Komödiantin Allison Janney, die unvergessliche CJ aus der ingeniösen Politserie «The West Wing», übertrifft als Hardings herzlose Mutter, soweit überhaupt menschenmöglich, nochmals sich selbst und gewann mit dieser Rolle endlich auch noch einen Oscar; Margot Robbie zeigt als Titelheldin, dass sie schauspielerisch einen Quantensprung macht, wenn sie nicht als Sexpüppchen inszeniert wird.
Andreas FurlerSo viel schwarzer Humor ist selten, im Fall von Tonya Harding ging es wohl nicht anders. Gefördert von einer Rabenmutter (Allison Janney), verprügelt vom Ehemann (Sebastian Stan) und gehasst von Eiskunstlauf-Punktrichtern, blickt die Porträtierte auf ihre Lebenstrümmer. Das basiere auf «ironiefreien, irrsinnig widersprüchlichen und total wahren Interviews mit den Beteiligten», verspricht der Film. Selten so gelacht. Oscar für Allison Janney als beste Nebendarstellerin.
Hans Jürg ZinsliFür einen kurzen Moment Anfang der Neunziger waren diese Menschen berühmt - aber alle aus den falschen Gründen: Tonya Harding, die Proletin unter den Eiskunstläuferinnen, ihr Mann und ihre bärbeissige Mutter. Craig Gillespie erzählt die Geschichte, wie Tonyas Konkurrentin Nancy Kerrigan mit einem Schlag auf die Kniescheibe ausgeschaltet wurde aus der Sicht des Harding-Clans - und der hat zu Verantwortung ein sehr eigentümliches Verhältnis. Großartig gespielt von Margot Robbie als Tonya und Allison Janney, die für ihr Darstellung der Mutter den Oscar als beste Nebendarstellerin bekommen hat.
Susan VahabzadehFaux biopic mais vraie réussite, Moi, Tonya est une comédie grinçante, décapante et réjouissante, d'une énergie folle. Avec Margot Robbie et Allison Janney en armes de destruction massive.
Geoffrey CrétéLa virtuosité de ce film tragi-comique tient à sa mise en scène électrique, au découpage efficace d'un scénario inventif, à l'impression de vitesse de toutes les scènes spectaculaires de patinage (dont le fameux triple axel, exploit inédit de Tonya Harding, filmé dans son étourdissant mouvement), à la bande-son où le crissement des lames sur la glace se mêle à la musique pop qu'affectionnait la patineuse pour ses figures.
Jean-Claude RaspiengeasUn film cash, politiquement incorrect et qui a trouvé le parfait équilibre entre humour, émotion et mouvements bruts de caméras pour reproduire au mieux les incroyables figures réalisées par une Tonya Harding qui donnait tout.
Virginie MorissonOn s’amuse, on s’indigne, on s’apitoie (le racisme social dont était victime Harding est clairement démontré) et on rit.
Le RédactionGalerieo
Tonya Harding geriet als Eiskunstläuferin in Verruf. In «I, Tonya» zeigt Margot Robbie ungeahnt kämpferische Seiten der amerikanischen Sportlerin und hat dafür eine Oscarnomination erhalten.
Der zentrale Satz fällt nach knapp zwei Stunden. «Weisst du, in Amerika wollen sie jemanden, den sie lieben, und jemanden, den sie hassen können.» Es ist Tonya Harding (Margot Robbie), die damit auf ihr eigenes Image anspielt: Die Eiskunstläuferin erregte 1994 weltweites Aufsehen, als ein Attentäter ihrer Konkurrentin Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange das Knie zertrümmerte. Harding wurde daraufhin lebenslänglich gesperrt und bekam den Übernamen Eishexe. In den USA war dieses Zweipersonendrama ein Vorläufer des heutigen Nonstop-Reality-TV.
Gute Sportlerin, böse Sportlerin? Bei Harding scheint der Fall klar. Obwohl das Attentat von ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) ausgeheckt und von dessen behämmertem Freund Shawn (Paul Walter Hauser) organisiert wurde, geriet doch in erster Linie die Eiskunstläuferin unter Beschuss. Hatte sie davon gewusst? Möglich. Aber wie macht man daraus einen Filmfür ein breites Publikum? Dazu empfiehlt sich ein Blick auf Sportfilme, die in jüngster Zeit einen regelrechten Boom erlebten, vom Formel-1-Duell «Rush» (2013) über die Skisprungkomödie «Eddie the Eagle» (2016) bis zum Tennisdrama «Borg vs. McEnroe» (2017). Doch nicht alle Werke hatten Erfolg. Mit dem verbissenen Schachgenie Bobby Fischer in «Pawn Sacrifice» (2014) mochte niemand mitfiebern, ebenso wenig mit dem dopenden Radfahrer Lance Armstrong in «The Program» (2015). Unsympathische Figuren sind Kassengift. Wie ist es dann aber «I, Tonya» gelungen, in den USA satte 25 Millionen Dollar einzuspielen?
Drehbuchautor Steven Rogers und Regisseur Craig Gillespie interessieren sich nicht dafür, von einer Buhfrau zu erzählen. Stattdessen lassen sie zahlreiche Figuren ihr eigenes Tun rückblickend kommentieren, wobei der im ruppigen Dokusoap-Stil gehaltene Film angeblich auf «ironiefreien, irrsinnig widersprüchlichen und total wahren Interviews mit den Beteiligten» basiert. Das klingt verwirrend, wirkt aber auf der Leinwand ausgesprochen frisch. Und es verschafft der Titelheldin ungeahnte Sympathien.
Die oscarnominierte Margot Robbie («The Wolf of Wall Street») spielt Harding als ebenso unflätiges wie verletzliches Eislauftalent, das von einer Rabenmutter (ebenfalls oscarnominiert: Allison Janney) gepusht und vom Ehemann (Sebastian Stan) verprügelt wird. Kommt dazu, dass Harding bei den Eislauf-Punktrichtern verhasst ist. Aber sie steht als erste Amerikanerin einen dreifachen Axel, und sie steckt zu Hause nicht nur ein, sondern teilt auch kräftig aus. Da gerät man als Zuschauer plötzlich in den Zwiespalt, wie man diese Figur bewerten soll. Ist sie tatsächlich die berechnende Eishexe, für die sie alle halten? Ist sie nicht vielmehr eine Kämpferin, die gegen ihr «White Trash»-Umfeld rebelliert?
Es ist diese Ambivalenz, die «I, Tonya» aus der Masse von stromlinienförmigen Biografien heraushebt. Wobei diese Ambivalenz so weit geht, dass man im Film weder Bildern noch Worten vertrauen darf. Einmal scheucht Harding ihren Prügelgatten durch die Wohnung, schiesst mit dem Gewehr auf ihn und wendet sich dann lächelnd ans Publikum: «So etwas hätte ich nie getan!» Gute Sportlerin, böse Sportlerin? «I, Tonya» bleibt spannend, weil der Film gerade diese Frage auf hinreissende Weise nicht klärt.