Anne Bäbi Jowäger
Franz Schnyder, Schweiz, 1960o
Auf einem Berner Bauernhof des mittleren 19. Jahrhunderts bringen die resolute Hausherrin Anne Bäbi Jowäger und ihre rabiate Magd den Sohn des Hauses beinahe ums Leben, als sie ihn von einem Quacksalber gegen Pocken behandeln lassen. Kaum gesundet, soll der zart besaitete Jungbauer eine standesgemässe Partie machen, setzt aber überraschend seine Liebe zu einer schönen jungen Frau ohne Eltern und Ruf durch. Das sanfte Paar bleibt im Bauernhaus dennoch unter der Fuchtel der dominierenden Frauen und gerät erneut in den Sog der Wunderheiler, als sein kleines Kind erkrankt.
Die zweitletzte von Franz Schnyders populären Gotthelf-Verfilmungen und restaurativen Hochgesängen auf eine relativ heile ländliche Welt traf 1960 nur noch teilweise den Zeitgeist der schnell verstädternden Schweiz, floppte an den Kinokassen und wurde vom Regisseur selbst in zwei Etappen zur vorliegenden, einzigen erhaltenen Fassung verhackstückt. Sie kommt entsprechend sprunghaft daher, und ist doch eine seiner nuancenreichsten und packendsten Arbeiten - just auf der Schwelle vom sogenannt Alten zum sogenannt Jungen Schweizer Film der frühen sechziger Jahre. Aus Gotthelfs wütender Attacke auf Wunderglauben und das Unwesen der Quacksalberei wird einerseits der bewährte Schnydersche Jahrmarkt ländlicher Schrulligkeiten auf dem schauspielerischen Niveau des Volksthheaters, doch tun sich in der - schon bei Gotthelf brüchigen - Idylle tiefere Abgründe auf als in Schnyders bekannteren Ueli-Filmen. Vater Jowäger ist ein Pantoffelheld, sein Sohn ein allzu zartes Pflänzlein, die Tyrannei der älteren Frauen streift den Wahnsinn und führt die Titelheldin schlieslich in eine Depression, die zu den kompromislosesten und bildstärksten Inszenierungen des Alten Schweizer Films zählt.
Andreas Furler