The Secret Agent
Kleber Mendonça Filho, Brasilien, 2025o
Brasilien, 1977. Marcelo, ein Technikexperte in seinen frühen 40ern, ist auf der Flucht. Er kommt in der Karnevalswoche in Recife an, in der Hoffnung, seinen Sohn wiederzusehen, muss aber bald feststellen, dass die Stadt bei weitem nicht die gewaltfreie Zuflucht ist, die er sucht.
O Agente Secreto setzt im Brasilien von 1977 ein, mit einer Leiche an einer Tankstelle im Nirgendwo – einem Einstieg wie aus einem Tarantino-Film. Dazu ein gelber VW-Käfer, korrupte Polizisten: Sofort kommen Erinnerungen an Roadmovies, Herbie und die albernen Antihelden der 1970er Jahre auf. Als dann auch noch in einem toten Hai ein abgetrenntes Bein gefunden wird, können wir Faszination und Albträume des Jungen Fernando, des Sohns des Titelhelden, nachvollziehen, zumal im Kino in Recife, in dem Fernandos Grossvater als Vorführer arbeitet, noch immer Tubarão läuft, Spielbergs Jaws. Über 160 Minuten entfaltet sich O Agente Secreto als epischer Erzählfluss, der Vergnügen und Ernsthaftigkeit verbindet. Zwischen Nostalgie und Spannung pendelnd, erinnert der Film an die bleibenden Schatten der brasilianischen Militärdiktatur. Dabei führt Kleber Mendonça Filho die narrativen Strategien des seriellen Streaming-Erzählens auf die grosse Leinwand zurück: wechselnde Perspektiven, Zeitsprünge, Rückblenden, verschränkte Handlungsstränge. Raffiniert wechselt der Film auch zwischen Action und Dialog: etwa, wenn ein Auftragskiller einen anderen zu Fuss durch Recife jagt, nachdem eine eher dialoglastige ruhige Szene, die politische Korruption und persönliche Verluste enthüllt hat. Mendonça Filho verbindet das politische Bewusstsein und die soziale Schärfe seiner früheren Filme mit überschäumender Kinoliebe. Die detailgetreue Rekonstruktion des Recife der 1970er Jahre und der riesige Produktionsaufwand – über 1200 Beteiligte – beeindrucken ebenso wie der Strom filmischer und popkultureller Zitate. O Agente Secreto ist ein Werk, das Kino als Vergangenheitsbewältigung fruchtbar macht. Es greift die Sprache des Streamings auf, um sie triumphal zu überbieten.
Michael SennhauserGalerieo
