Close to You
Dominic Savage, GB, USA, 2024o
Sam war seit seiner Geschlechtsumwandlung nicht mehr zu Hause. Nach vier Jahren in Toronto macht er sich zum Geburtstag seines Vaters auf die lang gefürchtete Reise zurück nach Cobourg. Im Zug trifft er Katherine, eine Freundin aus der Highschool, die jetzt ihr eigenes, kompliziertes Leben führt. Gefühle aus der Vergangenheit dringen an die Oberfläche.
Die Geschichte des jungen Mannes Sam, der sich seit seiner Geschlechtsumwandlung von seiner Familie entfremdet hat (bzw. von dieser entfremdet wurde), in die Grossstadt gezogen ist und jetzt mit gemischten Gefühlen zum Geburtstagsfest seines Vaters unterwegs ist, wartet weder mit grossen Überraschungen auf, noch erzählt sie einem Publikum, das in Sachen transsexuelle Identitäten auf einigermassen aktuellem Stand ist, viel Neues. Was Close to You trotzdem sehenswert macht und den Film von vergleichbarem aufklärerischem Material abhebt, ist einerseits die geglückte Gratwanderung zwischen persönlicher und typischer, in vielerlei Hinsicht repräsentativer Erzählung, die dennoch weitgehend frei von Klischees ist. Insbesondere ist es aber die Performance von Elliot Page, von dessen eigener Biografie Sams Geschichte inspiriert ist – bis auf den Umstand, dass Sam vor der Transition keine erfolgreiche Hollywoodschauspielerin war. Von den ambivalenten, unsicheren aber durchaus liebevollen Bemühungen der Eltern, trotz Überforderung die familiäre Harmonie zu bewahren, bis zu den verletzenden Bemerkungen irgendwelcher Schwager, die mehr von mangelnder Empathie als von bösem Willen zeugen: In Pages erschöpften Augen und resignierter Stimme dringt durch, welchen Belastungen man in unserer Gesellschaft nach wie vor ausgesetzt ist, bloss weil man auf der eigenen Identität beharrt.
Dominic Schmid