Wyld
Ralph Etter, Schweiz, 2025o
Der Film begleitet Ben (17), Momo (16) und Zoe (16) ein Jahr lang auf ihrer Suche nach Freiheit, Liebe und einem Platz in der Welt. Zwischen Selbstzweifeln, Zukunftsangst und dem Druck, funktionieren zu müssen, kämpfen sie um ihre Träume: Ben steht zwischen Momo und Zoe und ringt mit seiner sexuellen Identität. Zoe verarbeitet einen #MeToo-Übergriff und findet Kraft in der Musik. Momo will die Welt retten, bricht die Schule ab – und muss neu anfangen.
Ben (17), Lehrling in einem Basler Modegeschäft, ist verunsichert über seine Sexualität. Momo (16) glaubt an Protest statt Schulabschluss, während ihre Freundin Zoe nach einem sexuellen Übergriff und einem brutalen Angriff auf ihren Freund Sam den Boden unter den Füssen verliert. Diese Figuren stammen aus der 2021 für Instagram produzierten Jugendserie Becoming Momo, die nun als Wyld auf die Kinoleinwand gelangt – kein Sequel, sondern ein neu montierter «Kanaltransfer». Der Regisseur Ralph Etter und der Cutter Luca Zuberbühler kombinieren bis zu drei der ursprünglich hochkant gedrehten Szenen zu einem multiperspektivischen Triptychon. Das Ergebnis: ein visuell verblüffender, kinotauglicher Einsatz von Split-Screen-Technik, die sonst eher aus Klassikern wie Pillow Talk oder Woodstock bekannt ist. Etters Zugriff wirkt jedoch subtiler. Die parallelen Perspektiven erzeugen oft eine verblüffend eindringliche Ruhe – etwa wenn verschiedene Blickwinkel auf dieselbe Szene eine intensive Nähe zu den Figuren schaffen, besonders zu Ben, dessen Gefühlschaos zwischen ungeliebter Lehre, Freundschaft, Verliebtheit und Prüfungsstress fassbar wird. Die jungen Darsteller:innen – mehrheitlich angehende Profis – wirken überzeugend realistisch, allen voran Tim Rohrbach als Ben. Dabei hilft, dass bei den seinerzeitigen Dreharbeiten mit Smartphones nicht nur auf szenische Improvisation gesetzt wurde, sondern auch auf ungescriptete, dialektgeprägte Dialoge. Da Becoming Momo ursprünglich über 500 kurze Folgen umfasste, trägt der Kinofilm diesen episodischen Ursprung in sich. Besonders in der zweiten Hälfte verliert Wyld an Fokus, wenn etwa Momo plötzlich überraschend naiv erscheint oder eine andere zentrale Figur ohne Ankündigung im Off verschwindet. Dennoch überzeugt das Experiment als mutiger, formal innovativer Versuch, Smartphone-Ästhetik ins Kino zu übertragen – ein Film, der unsere Multi-Screen-Gegenwart nicht nur abbildet, sondern filmisch reflektiert.
Michael SennhauserGalerieo
