Love & Mercy
Bill Pohlad, USA, 2014o
In den Sechzigerjahren macht sich Brian Wilson daran, für die Beach Boys das Überalbum «Pet Sounds» zu schreiben. Aber er steht unter dem Joch seines Vaters und kämpft mit seinen Dämonen. Neunzigerjahre: Wilson ist ein Wrack, das von seinem Vormund und Therapeuten mit Drogen-Cocktails ruhiggestellt wird. Als Brian die Autoverkäuferin Melinda kennenlernt, erkennt sie, wie schlimm sein Zustand wirklich ist.
Love & Mercy erzählt die Geschichte von Brian Wilson, Songwriter der Beach Boys, der mit seinen Dämonen zu kämpfen hatte und fast daran zerbrach. Paul Dano spielt den jungen Wilson, John Cusack das Wrack, das in den 80er-Jahren von ihm übrig geblieben ist. Der Film ist nicht nur ein tragisches Biopic eines grossen Musikers, sondern setzt auch die Entstehung der Musik ausgezeichnet in Szene. Wie aus einer vagen Idee nach und nach der Song «Good Vibrations» entsteht, ist eine wahre Freude und allein für diese Sequenz kann ich den Film schon uneingeschränkt empfehlen.
Moritz HagenKein gefälliges Biopic für den Beach-Boys-Fan, vielmehr eine komplexe, düstere Charakterstudie: Klug springt der Film zwischen dem Wunderkind Wilson, das langsam dick und verrückt wird, und dem älteren, abgewrackten Wilson hin und her. Hervorragend verwebt Regisseur Bill Pohlad (Produzent von «12 Years a Slave») die Fäden. Die Darsteller Paul Dano («There Will Be Blood») und John Cusack («High Fidelity») sind gleichermassen brillant.
Andreas ScheinerStatt einem einzigen Beach Boy begegnen wir in William Pohlads Biopic über Brian Wilson zwei völlig verschiedenen Männern: Paul Deno als jungen, manischen Sound-Bastler im Strudel psychedelischer Drogen und John Cusack als gebrochenes, depressives Midlife-Wrack. Aus der Überblendung von Genie und Wahnsinn, von Hoch und Tief entsteht ein sonnendurchflutetes, psychologisch-abenteuerliches Split-Porträt des California Sound-Schöpfers.
Annett ScheffelMais si Love & Mercy est un si beau biopic, ce n'est pas grâce à l'exactitude fétichiste de ses détails mais à la justesse de ses opinions globales. Ne pas faire "la légende en or des Beach Boys" mais se focaliser sur les périodes les plus essentielles de son créateur majeur, Brian Wilson.
Serge KaganskiLes scènes de combat contre la maladie mentale sont impressionnantes et montrent un Paul Giamatti en psy terrifiant. Biopic différent, Love & Mercy brosse un portrait complexe de Brian Wilson. Et donne envie d'écouter sa musique.
Sophie BenamonBill Pohlad parvient à filmer la musique en train de se faire, dans une succession de scènes de studio euphorisantes où l’on assiste à la genèse de "God Only Knows" et de "Good Vibrations", désignée sixième meilleure chanson de tous les temps par le magazine américain Rolling Stone.
Caroline VeunacGalerieo
Der Film «Love & Mercy» verkitscht die Geschichte von Brian Wilson, dem genialischen Komponisten der Beach Boys. Man glaubt ihm kein Wort.
Dass dieser junge Mann, der am Klavier sitzt und raucht, gleich seine Gabe verlieren wird und wohl auch sich selbst: Das kann man schon nach dem Vorspann annehmen, in dem Brian Wilson ein Selbstgespräch führt über die guten und schlechten Dinge, die in ihm stecken. «Manchmal habe ich Angst», sagt er, und: «Was, wenn ich es verliere?» «Love & Mercy», die Filmbiographie von Bill Pohlad über den kreativen Kopf der Beach Boys, ist ein Drama mit eingebautem Bedienungsmanual. Die Verantwortlichen würden wohl darauf bestehen, es handle sich dabei um ein Drehbuch. Doch wie soll man bezeichnen, was die Dinge, die sich in anderen Filmen zeigen und entwickeln, einfach benennt? Das eine Rauchpause erfindet, damit der Studiomusiker dem genialischen Musiker sagen kann, wie genialisch er ist? Das den schon älteren, derangierten Brian Wilson am Boden des Aufnahmestudios sitzen und ihn sagen lässt: «Ich fühle mich schrecklich»?
Dabei hat der verantwortliche Oren Moverman das Buch für einen der interessantesten Musikfilme geschrieben: In «I’m Not There», 2007 von Todd Haynes verfilmt, zerbrach er die Biografie von Bob Dylan zu sechs Leben für sechs Schauspieler. Hier nun, da er sich über das Verleben des Brian Wilson beugt, ist der Kunstgriff zwar konventioneller, aber deswegen nicht abwegig: Moverman und Regisseur Pohlad beschränken sich auf zwei Schauspieler in zwei entscheidenden Abschnitten im Leben dieses hochbegabten, aber naiven und kranken Musikers.
Falsche Schizophrenie-Diagnose
Paul Dano ist der junge Brian Wilson, der 1965/66 mit den Beach Boys das Meisterwerk «Pet Sounds» aufnimmt und an den Arbeiten an der nächsten Platte zerbricht («Smile», erst 2004 fertiggestellt). John Cusack gibt den älteren Wilson von 1986, der mit der falschen Diagnose der paranoiden Schizophrenie unter der Totalkontrolle seines Therapeuten Eugene Landy (Paul Giamatti) lebt und sich unter ständiger Pillenzufuhr zur Arbeit am ersten Soloalbum genötigt sieht. Bis er die Autoverkäuferin Melinda Ledbetter kennen lernt (Elizabeth Banks), die er 1995 heiraten und die ihm zu korrekter Diagnose und zweiter Karriere verhelfen wird. Im ständigen Zeitsprung erzählt «Love & Mercy» die Episoden parallel.
Dass sich Wilson und wohl vor allem Ledbetter bereit erklärten, die Filmemacher zu «beraten», hat bei der Regie für Begeisterung gesorgt. Beides ist dem Ergebnis gut anzusehen, dieser Punktlandung aufs Happy End hin. Das ist historisch nicht falsch; niemand würde bestreiten, dass Brian Wilson heute das bessere Leben führt als unter dem Regime seines Psychodoktors. Doch verkürzt auf den Kitsch, das ist es schon. Nicht nur in der Figur von Ledbetter (die ihren Mann seither auch auf Tourneen geschickt hat, die er besser nicht unternommen hätte), sondern gerade auch in der von Eugene Landy: Giamatti gibt ihn als diabolischen Kontrollbösen.
Kein Sinn für die Sechzigerjahre
Dass die Rollen von Gut und Schlecht so ordentlich verteilt sind, ist aber vor allem in der Erzählung über die Sechzigerjahre ärgerlich. Der Vater von Wilson wird hier als frühe, prügelnde Variante von Landy eingeführt, und der Cousin Mike Love als jener Beach Boy, der Hits statt Kunst produzieren wollte und Brian Wilson schliesslich aus der Band drängte. Auch das ist in beiden Fällen nicht falsch, reduziert das Drama um «Smile» und den kommerziellen Flop von «Pet Sounds» aber auf die private Tragödie eines einzelnen Musikers. Neben dem «Blick auf den Menschen Brian Wilson» (so der Regisseur im Presseheft) fehlt «Love & Mercy» jeder Sinn für die Zeit, in der sich dieser Mensch bewegte.
Der kalifornische Traum eines surfenden Amerika, den die Beach Boys entworfen hatten und der mit «Smile» zerplatzte, kommt hier ebenso wenig vor wie der berauschte Wettbewerb jener Jahre um die beste Popmusik. Für ihn hat das Drehbuch einen Satz übrig: «Die Beatles dürfen uns nicht überholen», so Brian Wilson. Die 32 Versuche, die er seinen Cellisten bei den Aufnahmen zu «Good Vibrations» verordnete, erscheinen so nicht als Ausdruck einer neuen popkulturellen Allmachtsfantasie, sondern als Ausgeburt einer durch innere Stimmen und Soundfragmente aufgewirbelten Psyche: Der Wahnsinn ist eine dissonante Klangcollage und umgekehrt. Und so bleibt dem Film nur eins, um die Geniebehauptung des Drehbuchs zu beglaubigen: Er spielt die Songs ab. Nur, die gibt es schon auf Platte.